Der spazierende Mann
Name: | Der spazierende Mann |
Englischer Name: | – |
Originaltitel: | Aruku Hito |
Herausgebracht: | Japan: Kodansha 1995 Deutschland: Carlsen 2009 |
Mangaka: | Jiro Taniguchi |
Bände: | Einzelband |
Preis pro Band: | 14,00 € 14,90 € (Neuauflage) |
Story & Eigene Meinung
„Der spazierende Mann“ erzählt dem Leser einen Ausschnitt aus dem Leben eines namenlosen Mannes im mittleren Alter und seiner Familie, die aus seiner Ehefrau und dem Hund „Flocke“ besteht.
Eigentlich ist „erzählt“ gar nicht das richtige Wort. Vielmehr wird man als Leser Zeuge verschiedener Anekdoten. Man fungiert als ständiger unsichtbarer Begleiter, als Anhängsel des Mannes, der zu Beginn in eine japanische Vorstadt oder vielleicht auch Mittelstadt zieht.
Genaue Angaben bezüglich der Person kann man daher kaum machen. Wenige Dinge kommen zu Tage. Aber das ist auch überhaupt nicht nötig. Man erlebt das Leben eines Durchschnitts-Menschen mit. Eine „richtige Story“ gibt es nicht. Stattdessen erleben wir Umzug, Feierabend, Wochenende, Ausflüge, tägliche Spaziergänge mit dem Hund und vielerlei Begegnungen, wie viele von uns sie schon einmal gemacht haben, es aber kaum für wert befunden haben, uns diese auch im Gedächtnis zu behalten.
Das mag in den Ohren junger Leute zunächst einmal langweilig klingen, aber wenn man aufpasst und genau hinschaut, kann man dadurch ungeheuer viel lernen. Die „Lektionen“, die man sich selbst aneignen kann, beginnen bei Kenntnissen über japanische Lebensverhältnisse, die Kultur und die Gesellschaft im Land der aufgehenden Sonne. Deutet man einzelne Begebenheiten oder auch nur Panels richtig, kann man gründlich auf Spurensuche gehen.
Tatsächlich soll uns der Band aber etwas anderes vermitteln: Innehalten. Die meisten Menschen gehen durch ihr Leben mit Scheuklappen vor den Augen und in einer Geschwindigkeit, die man fast unter „rennen“ einordnen könnte. Wann nimmt man sich einmal Zeit, sich mit seiner Umwelt zu beschäftigen? Dabei ist mit „Umwelt“ alles von der ökologischen Umwelt, über das Umfeld (im sozialen Sinne) bis zur Umgebung gemeint. Durch diesen Mann, den Jiro Taniguchi als absolut unscheinbaren und unauffälligen Menschen erschaffen hat, wird uns klar, wie wenig wir eigentlich um uns herum aufnehmen – starr auf das in unserem Sinne „Wesentliche“ konzentriert.
Nicht so der Namenlose, der sich beispielsweise nach der Sichtung eines Vogels im Wald ein Buch über Vögel besorgt, um mehr über sie zu lernen und die Arten beim nächsten Mal wieder zu erkennen. Jemand, der sich so viel Zeit nimmt, an einem schönen Ort einfach mal kurz sitzen oder stehen zu bleiben oder sich „Wettgehen“ mit älteren Herren auf Wanderwegen liefert. Jemand, der älteren Frauen den Weg zeigt und Kindern die Modellflieger aus Bäumen pflückt.
Kurz: Jemand, der seine Umgebung bewusst wahrnimmt.
Es dürfte jedem klar geworden sein, dass es sich bei „Der spazierende Mann“ um ein anspruchsvolles Werk mit viel Tiefgang handelt, das man nicht einfach so „herunter lesen“ kann. Hierfür muss man sich Zeit nehmen. Allein schon deshalb wird diese Graphic Novel für viele Jugendliche nichts sein. Hinzu kommt, dass dieser Band kaum Unterhaltungswert im jugendlichen Sinne Unterhaltungswert hat. Allenfalls das Kapitel, in dem der Mann nach Einbruch der Dunkelheit ins Schwimmbad einbricht, um nachts noch seine Runden im kühlen Nass drehen zu können, dürften ein kleines Schmunzeln hervor rufen. Für ältere Leser aber ist der Band wirklich ansprechend und nicht ohne Grund der Meilenstein für Taniguchis Durchbruch als Mangaka.
Carlsen vertreibt den Band als Klappenbroschur mit Großformat zum Preis von 14,00 €, was angesichts von nur zwei Farbseiten etwas hoch gegriffen wirkt. Zudem beinhaltet die deutsche Ausgabe noch ein lesenswertes Nachwort vom „Comic & Manga-Beauftragten“ der „FAZ“.
© Rockita
Der spazierende Mann: © 1995 Jiro Taniguchi Kodansha / Carlsen